Apr 182011
 

Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vorratsdatenspeicherung (RL 2006/24/EG) vom 15. März 2006 ist die politische Antwort der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auf die furchtbaren Terroranschläge in Madrid (2004) und London (2005). Die Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Anbieter öffentlich zugänglicher Kommunikationsdienste und Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze dazu verpflichten, Verkehrs- und Standortdaten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten für einen Zeitraum von sechs bis vierundzwanzig Monaten auf Vorrat zu speichern und zwar von jedem/jeder NutzerIn. Diese Daten umfassen insbesondere den Bereich der Telefonnetze, Mobilfunk, Internet, Email, Internet-Telefonie. Folgende Daten werden gespeichert:

1) der Quelle einer Nachricht,
2) des Adressaten einer Nachricht,
3) von Datum, Uhrzeit und Dauer einer Nachrichtenübermittlung,
4) der Art einer Nachrichtenübermittlung,
5) der Endeinrichtung oder der vorgeblichen Endeinrichtung von Benutzern sowie
6) des Standorts mobiler Geräte.

Die Richtlinie definiert jedoch nicht, worum es sich bei den „schweren Strafdaten“ handelt. Dies wurde den Mitgliedstaaten überlassen. In Frankreich beispielsweise wurden „schwere Strafdaten“ im Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung mit Terroranschlägen und Verletzungen des geistigen Eigentums definiert. In Polen sind „schwere Strafdaten“ auch Zoll- und Steuervergehen und in Belgien der Missbrauch von Notdienstrufnummern. In Deutschland, Tschechien und Rumänien erklärten die jeweiligen Verfassungsgerichte die umgesetzte Richtlinie für verfassungswidrig, da sie die Grundrechte verletzt.

Die Vorratsdatenspeicherung hat in der gesamten Union die Gemüter erhitzt, da die massive Sicherheitsgesetzgebung zunehmend in die Privatsphäre eindringt und Daten von bislang völlig unbescholtenen BürgerInnen, ohne richterlichen Beschluss, auf Vorrat speichert. Somit wird jedEr BürgerIn der Union als potentieller StraftäterIn betrachtet und jedEr unter Pauschalverdacht gestellt.

Heute legte die Europäische Kommission ihren Bewertungsbericht über die Richtlinie der Vorratsdatenspeicherung vor, um „festzustellen, ob ihre Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf Datenkategorien und Speicherfristen, gegebenfalls geändert werden müssen“ und auch, um „die Auswirkungen der Richtlinie auf Grundrechte zu prüfen“. Des Weiteren wird geprüft, ob Maßnahmen gegen die Verwendung von anonymen SIM-Karten getroffen werden müssen.

Gleich zu Beginn stellt der Bericht fest, dass die Vorratsdatenspeicherung „ein wertvolles Instrument für die Strafjustizsysteme und die Strafverfolgung in der EU ist.“ Der Bericht verabsäumtes jedoch Ermittlungserfolge als Beispiel für dieses „wertvolle“ Instrument anzuführen. Das wäre auch gar nicht möglich, da keine Statistiken darüber geführt werden, welche Art von Beweismitteln für Verurteilungen oder Freisprüche ausschlaggebend waren. De facto ist es also gar nicht möglich zu sagen, ob die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich ein „wertvolles Instrument“ ist, da jeglicher empirischer Beweis fehlt.

Der Bericht stellt fest, dass die Vorratsdatenspeicherung das „Recht auf Privatleben und den Schutz personenbezogener Daten“, wie sie auch in der Grundrechtscharta der EU formuliert wurden, einschränkt. Eine derartige Einschränkung darf nur unter folgenden Voraussetzungen erfüllen:

1) präzise und vorausschauende Formulierung,
2) zur Verwirklichung eines Ziels von allgemeinem Interesse oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter erforderlich sein,
3) in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen sowie
4) dem Wesensgehalt der einschlägigen Grundrechte Rechnung tragen muss.

Viele dieser Voraussetzung erfüllt die Richtlinie von 2006 nicht, daher schlägt die Kommission eine Überarbeitung des derzeitigen Rechtsrahmens für die Vorratsdatenspeicherung vor.

Aufgrund der extrem uneinheitlichen Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten wird die Kommission einige Änderungen vorschlagen. Die Kommission spricht erst einmal davon die Kostenerstattung für die Betreiber und Anbieter zu vereinheitlichen, da diese teilweise auf den Kosten für die Umsetzung der Richtlinie sitzenbleiben. Außerdem soll die Richtlinie künftig dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Genauer gesagt bedeutet das eine:

• Vereinheitlichung der Zweckbindung der Vorratsdatenspeicherung sowie der Arten von Straftaten, bei denen der Zugang zu und die Verwendung von gespeicherten Daten zulässig sind,
• stärkere Harmonisierung und gegebenenfalls Verkürzung der obligatorischen Speicherungsfristen
• Gewährleistung einer unabhängigen Überwachung von Zugangsanfragen und der in allen Mitgliedstaaten geltenden Vorratsspeicherungs- und Zugangsregelung
• Festlegung, welche Behörden Zugang zu Daten haben dürfen
• Verringerung der Zahl der Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten
• Anleitung im Hinblick auf technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen für den Zugang zu Daten einschließlich der Übergabeverfahren
• Anleitung zur Verwendung von Daten einschließlich der Verhütung von Data Mining sowie
• Entwicklung praktikabler Mess- und Berichtsverfahren, um Anwendungsvergleiche und die Bewertung eines künftigen Rechtsakts zu erleichtern.