Mrz 252010
 

Im April 2004 beschloss der Rat ein umfassendes „Hygiene-Paket“, das alle bisher bestehenden Rechtsvorschriften überarbeitete und zusammenfasste. Das Paket besteht aus drei Verordnungen (852/2004, 853/2004 und 854/2004) und stellte für David Byrne, damaliger EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, eine der wichtigsten Initiativen seiner Amtszeit dar: „Diese Vorschriften werden unsere Lebensmittelsicherheitssysteme grundlegend verbessern und wichtige Strukturreformen mit sich bringen. Sie bedeuten einen großen Fortschritt für den Verbraucherschutz in der EU.“

Doch wie definiert die Union den Fortschritt bei Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit? Es gilt Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, „die notwendig sind, um eine Gefahr für den Menschen unter Kontrolle zu bringen und zu gewährleisten, dass ein Lebensmittel zum Genuss für Menschen tauglich ist.“ Lebensmittel sind für die Unionsbeamten erst dann genusstauglich, wenn sie unter sterilen Bedingungen erzeugt werden. Diese wiederum sind nach dem europäischen Verständnis die Voraussetzung für gesunde, sprich keimfreie Lebensmittel. Damit macht die Union nicht nur dem Schimmelkäse das Leben schwer, sondern auch kleinen Schlachthöfen, die nun dieselben Hygienerichtlinien wie industrielle Großschlachthöfe erfüllen müssen.

Foto: happymealy on flickr

Für die Großen ist es ein finanzieller Aufwand, der ihnen aber zugleich auch die Sicherheit gibt, dass alle Konkurrenten unter denselben Voraussetzungen produzieren wie sie selbst. Und die VerbraucherInnen können sich auf gleichmäßige, lineare Produkte von geprüfter Qualität mit EU-zertifizierter Lebensmittelsicherheit verlassen.

Für die Kleinen kann das Erreichen einer Zertifizierung zum hygienisch einwandfreien EU-Schlachthof den wirtschaftlichen Tod bedeuten. Mal abgesehen von den Kosten für den Umbau verfügen viele gar nicht über den Platz für die erforderlichen Räumlichkeiten. Es darf nicht dort geschlachtet werden, wo zerlegt wird und für die tierärztliche Kontrolle ist ebenfalls ein gesonderter Inspektionsraum notwendig. Die Folgen der europäischen Hygienevorschriften für hofeigene Schlachtungen und Direktvermarktung von regionalen Produkten sind fatal.

Schon jetzt ist es schwierig eine Alternative zu standardisiert abgepacktem Industriefleisch zu finden. Ganz zu schweigen von traditionellen, handgemachten Produkten wie einem Tiroler Graukäse, einem würzigen Bauernspeck oder einer handgemachten Wildschweinsalami. Ihre Erzeugung in kleinen Manufakturen betrachtet die Union als unhygienisch und nicht kontrollierbar, weil es keine standardisierten Produktionsabläufe gibt.

Foto: controvento on flickr

Europa muss sich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist die Genießbarkeit eines Lebensmittels ausschließlich über Hygienevorschriften und Produktionsstandards zu definieren. Deren Ergebnis europaweit vereinheitlichte Lebensmittel sind, deren regionaler Geschmack zwar auf der Strecke bleibt, dafür aber mit dem Genusstauglichkeitskennzeichen gemäß der Verordnung Nr. 854/2004 ausgezeichnet werden.

Europa zeichnet sich durch seine Vielfalt aus. Nicht nur in sprachlicher Hinsicht. Lineare, gleichmäßige Produkte mögen ein Segen für die Industrie und den Großhandel sein, nicht aber für die unterschiedlichsten regionalen Lebensmittelmanufakturen und den geschmacklichen Pluralismus in Europa.

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